Wie ein Frosch das Laufen lernte … Teil II

Die Angst vor bleibender Invalidität war groß! Und nach allem was ich gehört habe, ist Laufen die teuflischte Sportart die es gibt. Es schadet den Gelenken, besonders den Knien, dem Rücken sowieso und es verkürzt die Muskeln. Ausserdem bekommt man Blutarmut und man kann an Herzinfarkt sterben, weil das Sportlerherz was man unweigerlich bekommt, dann irgendwas tut wovon man stirbt halt. Und irgendwie ist das doch sowieso ein bisschen schwul, in diesen engen Klamotten durch die Gegend zu hetzen. Das waren so die die Highlights, die ich so gehört hab, wenn ich irgendwo mal erwähnt hab, dass ich jetzt Laufen gehen will. Fußball im Fernsehen zu schauen ist doch viel männlicher, außerdem kann man dabei besser Bier trinken und die Zigarette stört nicht so sehr.

ABER

Wenn das soooo schlimm ist und alle sich soooooo davor fürchten, dann muss es doch eigtl. wieder gut sein. Die Dämonen die mich beschwatzen wollten sind doch wieder nur Lakaien des dunklen Fettwanstfürtsen, der so nebenbei von der Bier-, Chips- und Schokladenmafia bezahlt wird. Ich baute dann doch darauf, dass Laufen wohl 100 Mal mehr Kalorien als das Radeln auf der schwerste Stufe meines Heimtrainers verbrennt. Und da ich nach den ersten drei Monaten des Fettzellen­vernichtungsfeldzugs ja festgestellt habe, dass mein Arsenal einer Aufstockung bedarf, habe ich dann doch die Wunder Laufschuhe aus dem Keller geholt.

Der erste Versuch

Als mein Sproß geboren wurde, hatte ich das erste Mal so einen Anfall von „Ich werde mein Leben ändern und ein besserer Mensch!“. Da bin ich zum Renners Punkt Fachgeschäft und habe mich aufs Laufband gestellt. Die sportliche und angenehm anzusehende Verkaufsangestellte hat mich mit Ihrem Lächeln und einem Haufen von Fachbegriffen zugeschüttet, so dass ich unter dieser Hypnose den Eindruck gewonnen hatte, kompetent beraten worden zu sein. Ich habe mich dann fürs zweit teuerste Modell entschieden, so viel geistige Stärke hat mein Unterbewußtsein noch ausgesandt. Passt ja! Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper! So einen Leitsatz an den Füßen zu tragen ist doch die idealle Vorraussetzug für ein neues besseres Leben, dachte ich mir. Dieser Ansatz war allerdings nach kurzer Zeit vorbei. Die ersten Stiche und das Rasseln in der Lunge konnte ich mir ja noch erklären. 20 Jahre Nikotinkosum gehen ja nicht einfach so weg, zumal man es ja grade mal zum Vorsatz Laufen und Rauchen geschafft hat. Nach ungefähr 2 Wochen hat sich die Lunge dann an das Maß Sauerstoff und auch an die Region, die jetzt beansprucht wurde gewöhnt. Aber kaum bei 16km im Dauerlauf angekommen, meldeten sich die ersten Schmerzen und zwar zuerst im Schienbein un dann im Knie. Auch Einlagen und ein neues Paar Laufschuhe konnten das Problem nicht lösen und als wir dann nach Berlin zurückgezogen sind und ich in einer neuen Firma angefangen habe, wars das erstmal mit Laufen. Einmal die Woche allerhöchstens. Und dann kam ja auch noch der Innenminiskusriß. Aber zumindest hatte ich ja schon mal die Laufschuhe gekauft.

Der zweite Versuch

Ja, da standen sie also nun und warteten auf mich! Vor Jahren gekauft warteteten sie nur darauf mich in ins neue Leben zu tragen. Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper! Milosz wird eine besserer Mensch Teil 2. Aber ich wurde aber erstmal wieder ein leidender Mensch.

Ich steigerte langsam und behutsam von 40min immer so um 5 minuten pro Training. Alles war OK. Das Knie hielt! Ich denke die Vorbereitung auf dem Heimtrainer hat mein Knie irgendwie eingeölt und stabilisiert. Es machte auch richtig Spaß, so dass ich mein zuhause Fitnesscenter vernachläßigt habe und nunmehr 4-5 mal die Woche Laufen ging. Nach verhältnismäßig kurzer Zeit war ich wieder bei 16km am Stück. Ich war wie im Rausch, da ich ja wirklich von Training zu Training die Fortschritte sehen konnte.

Dann kam mir die Idee mit dem Halbmarathon. Nach einem „2h Stunden am Stück“ Testlauf, hab ich mich auch prompt angemeldet: Berliner Halbmarathon ich komme! Zeitvorgabe keine, aber so klammheimmlich wollte ich die 2h schon unterbieten. Ich dachte mit 3 Monaten Fitnesscenter und 3 Monaten Lauftraining ist es machbar. Und sofort kamen die ersten Problemchen: Blasen und blaue Zehennägel. Und da schimmerte es mir doch langsam, das die Fachberatung damals nicht die beste gewesen sein konnte. Meine Füße habe ich dann für den Halben zutapen müssen. Es hat sich aber während des Laufs dann noch eine Blase gebildet, die dann beim Lauf aufgeplatzt ist. War das eine Befreiung. Ab km16 hatte ich solche Rückenschmerzen, das ich mich mit dem Laufstil bei den Paralympics einreihen könnte. Den HM habe ich aber geschafft. Zeit 1h57. Ich bin danach zur Physio und hab Massage und Fango Packungen für meinen Rücken bekommen. NUN WAR MEIN EHRGEIZ SO RICHTIG GEWECKT! Schaffe ich mehr? Nächster Lauf dann BIG25. 1 Woche vorher kriege ich dann eine Wadenverhärtung an der Grenze zur Zerrung. — Wieso? Ich hab doch angefangen ein bisschen zu dehnen nach dem Laufen, und sogar ohne Wippen! — Bin dann jeden Tag zur Massage gerannt, hab Tonnen von Voltaren und Kytta verschmiert und in langen Strümpfen geschlafen, Ultraschall und Reizstrom beim Fernsehen angelegt. Es hat irgendwie geholfen. Die BIG25 bin ich dann mit leichten Ziehen in der Wade ab km6 in 2:11 gerannt. Das Blasenproblem habe ich eliminiert in dem ich die zweitteuren Laufschuhe aussortiert hab, die mit dem Lächeln und den Fachbegriffen. Zehennägel hatte ich keine mehr. Sind ja alle abgefallen mittlerweile. Und die neuen wuchsen grad. Also kurzum, es ging mir wieder gut.

Der Weg ist frei für den Marathon!

Sind ja noch 4 Monate hin. Ziel Sub4h. Mittlerweile habe ich was von Gevatter Greif gehört und wie krass der ist. Und von seinem Countdown zur Bestzeit. Genau das Richtige für mich! Mittlerweile habe ich mich auch an die kleinen Zipperlien gewöhnt. Muskelkater, leichte chronische Achillesehnenreizung, aber solange das Knie nichts sagte war ich zufrieden. Die positive Wirkung des Laufens überwog all die Schmerzen. Und als Single kann man entweder auf Ü30 Partys gehen oder Laufen. Also Laufen. Ganz konsequent. Mein alter Herr ist vor einem Jahr mit über 60 seinen sechsten Marathon gelaufen, er hat sich nicht genug vorbereiten können und hat ihn trotzdem geschafft. Er konnte aber die Tage danach nicht richtig gehen, und das sollte mir NICHT passieren. Wie heisst es so schön, Marathon ist einfach, das Training ist hart! Ich hab‘s ja auch lieber die Schmerzen auf länger zu verteilen als einmal richtig doll, ist wohl auch gesünder habe ich mir sagen lassen.
So habe ich es dann auch wirklich durchgezogen. Die letzten 8 Wochen auch nach Greif’s Countdown trainiert. Bei der Generalprobe (Sportcheck HM) bin ich eine 1:36 gerannt. Das waren 21 Minuten schneller als 6 Monate zuvor. Den Marathon habe ich dann in 3:39 geschafft. Und ich war danach nicht so fertig wie ich nach dem ersten Halbmarathon war. Konnte am Tag danach fast normal laufen. Danach habe ich das Pensum für zwei Monate runtergefahren und nur 1-2 mal die Woche trainiert.

Auf ein neues! Aber besser!

Jetzt bin ich mitten im zweiten Trainingsjahr. Mittlerweile sind alle Zipperlein auskuriert. Alle falschen Schuhe aussortiert. Ich besitze quasi ein Arsenal an Schuhen, je nach Geschwindigkeit und Untergrund. Besonders gern habe ich meine Barfußschuhe mit den fünf Fingern. Ich glaube die haben mir geholfen die Achilleseheneproblematik zu eliminieren. Ich mache 1 mal die Woche Yoga als Stabilisationsersatz und weil es irgendwie cool ist. Mein Training ist jetzt auch variert und nicht mehr monoton. Ich mach mir Trainingspläne. Zwischen die großen Wettkämpfe habe ich jetzt Volksläufe eingestreut. Ich dehne, nicht immer, aber immer öfter! Ich habe den Satz „Schnell kann jeder“, endlich verstanden und gelernt langsam zu laufen. Ich habe gelernt auf den Körper zu hören, und wenn er mal nicht will dann eben mal 1-2 Wochen zu tapern und vor und nach größeren Belastungen sowieso. Ich habe einen völlig neuen Bekanntenkreis und laufe nicht mehr allein. Und wenn ich mal Bock habe, dann trinke ich ein paar Bier und rauche Zigaretten. Und die Bestzeiten sind trotzdem alle gepurzelt.

Bin ich ein besserer Mensch?

Ich weiß es nicht. Wohl eher nicht. Bin ich jetzt ich? Das schon eher.

Bin ich am Ziel? Nein. Bin ich jetzt weise, Forrest Gump oder sowas ähnliches ? Haha, das schon mal überhaupt nicht.

Es ist Juli und ich hab jetzt über 1700km in diesem Jahr gemacht, es erwarten mich noch über 1000 Traingskilometer bis zu meinem zweiten Marathon. Und ich freu mich drauf! Das ist wohl die Essenz als auch der Zauber des Ganzen! Und mehr bedarf es auch nicht!

Wünscht mir Glück!

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